Wolfgang Philipp Seiter

Geboren 1936 in Munderkingen,
aufgewachsen in Ravensburg,
Volksschule, Oberschule,
Malerlehre mit Auszeichnung, erhält ein Stipendium.
Studium der Gebrauchsgraphik an der Staatlichen Akademie für Bildende Künste in Stuttgart.
Berufsjahre in Düsseldorf und Karlsruhe.
Rückkehr nach Weingarten, selbständig, Atelier W. P. Seiter

 

 

Ravensburg

Alles begann mit dem Umzug der Familie nach Ravensburg in das Anwesen Pfannenstiel 1 bei der Schwalten-Mühle. Das Wohnhaus glich mit seinen weiten Treppen und Fluren eher einem Herrschaftsgebäude und war Teil eines ehemals bedeutenden Landgutes. Also Platz genug für die Verwandtschaft aus Munderkingen, die alljährlich anreiste, um die Blutfreitagsfeierlichkeiten mitzuerleben, die abendliche Lichterprozession, die nächtlichen Betstunden in der Basilika, und natürlich – in aller Frühe – den Blutritt. „Was die d’e ganz’ Nacht z’Wei’garte’ machet“ erschloss sich dem kleinen Wolfgang zunächst noch nicht. Auf alle Fälle waren Onkel und Tanten jedes Mal hellauf begeistert, erzählten ohne Unterlass und die Kinder genossen diese blutfreitägliche Umtriebigkeit.

 

Bachstraße

In unmittelbarer Nähe des Spitals öffnete sich breit der Eingang des Anwesens und gab den Blick frei in eine dunkel verrußte Werkstatt mit mächtiger Esse. Hier betrieb der Schmiedemeister Josef Bernhard mit Gesellen und Lehrbuben sein uraltes Handwerk. Querte man achtsam die Werkstatt, konnte über schmale Stiegen das zweite Stockwerk erklommen werden, wo die Seiters von nun an wohnten. – Weit weniger komfortabel als ehedem:
Die Küche blieb fensterlos, den Abtritt samt „Balkönle“ erreichte man über einen langen, schmalen Gang.
Von dort eröffnete sich der Einblick in den hinteren Teil der Werkstatt und den handtuchschmalen Hinterhof, der einem kleinen Saustall Platz bot.
Sozusagen gegenüber, angebaut an das Untertor, lag das weithin bekannte Wirtshaus „Zum Goldenen Adler“ und rechter Hand voraus die Rundel-Mühle.
Dazwischen dehnte sich weit ein Platz, der den Burschen Raum gab, um sich auszutoben und ihre Kräfte zu messen „da sind am Tag keine zwei Autos g’fahre’“.

 

Der gerteue Helfer

 

Schmied Bernhard war es dann auch, der für Seiter bürgte, damit dieser schon im Lehrlingsalter in die Ravensburger Rutenfestkommission berufen werden konnte.
In den Wochen vor dem großen Fest herrschte Hochbetrieb in der Schmiede. Meister Bernhard war auch ein bekannter Hufschmied – und der junge Wolfgang sein getreuer Helfer, wenn es galt, die Pferde am Halfter zu halten, sie zu beruhigen und traulich mit ihnen zu sprechen. Dabei kam auch ein überaus bemerkenswertes Utensil zum Einsatz:

An einem hölzernen Griff war ein Schimmelschweif eingearbeitet, mit dem Wolfgang sorgsam „Rossbreme’ und andere Viecher“ von den Pferden fernhielt, damit sie nicht wild ausschlugen und Schmied und „Aufheber“ in höchste Gefahr brachten. Wurde das geschmiedete und glühendheiße Hufeisen aufgelegt, stieg beißend stechender Qualm auf, der über Schmiede und Wohnungen bis in die Dachkammern der Gesellen hochstieg. Nach getaner Arbeit kehrte Wolfgang die „Rossbollen“ in eine Grube und besorgte im „Goldenen Adler“ einen Krug schäumenden Bieres, damit sich die erhitzten Männer an einem kühlen Schluck laben konnten. Dann nach Feierabend, warfen die Männer glühende Eisenklumpen in den bereitstehenden Bottich, um sich mit dem wohl temperierten Wasser von den Spuren des Tagwerks zu reinigen.
In einer Kammer der Bachstraße 66 bewahrte Schmied Bernhard seine Husarenuniform. Wertvolle Lithographien edler Pferde schmückten den Raum. Das war „sei’ Heiligtum“, das ohne ihn niemand betreten durfte.
Nach der Betriebsaufgabe vermachte er die Lithographien Seiter, seine Werkzeuge der Rutenfestkommission für einen Schmiedewagen, der noch heute beim Festzug mitgeführt wird.

 

 Weingarten

 

Die Jahre des Studiums, der beruflichen Herausforderung und Etablierung folgten, dann die Familiengründung mit der gebürtigen Weingartenerin Marlene Scheuch. Kinder und später die Enkel ver­vollständigten die Familie. Und nach dem Hausbau in Weingartens Oberstadt war es dann an der Zeit für eine Neuorientierung, die bis zum heutigen Tag Seiters Leben prägen und die kulturelle Landschaft bereichern sollte: „Jetzt’ ka’ i’ ehrenamtlich tätig werde’.“ Mitglied der Rutenfestkommission war er schon, als Sänger mit markanter Bassstimme trat er dem Basilika- und dem Sergiuschor bei und als Mitglied unserer Blutfreitagsgemeinschaft und Kirchengemeinderat von St. Martin, dem er viele Jahre angehörte, entwickelte er seinen breitgefächerten und herausragenden Einsatz für das Blutfreitagsgeschehen. Wie selbstverständlich und überaus großzügig bringt er seine Ideen, seine gestalterische Kraft und Begabung ins öffentliche Leben ein, bis zum heutigen Tag und stets nach dem Motto „it bloß schwätza, au schaffe’!“ tatkräftig, künstlerisch und handwerklich auf höchstem Niveau.

Das Plakat

 

Schüler- und Heimatfest, Rutenfest, 100 Jahre Stadt Weingarten, 900 Jahre Heilig-Blut-Verehrung … mühelos ließe sich die Reihe der entsprechenden Plakate W. P. Seiters fortsetzen. Hier aber soll das Plakat „Blutritt in Weingarten“ im Mittelpunkt stehen, „unser“ Plakat: Öffentlich angebracht in den Kirchen und Gemeinden unserer Diözese Rottenburg-Stuttgart und der angrenzenden Gebiete, großformatig, unverwechselbar, ausdrucksstark, informierend, 1800-fach werbend für das höchste Fest, künstlerisch gestaltet und das seit 31 Jahren.
Und es gab reichlich Motivation für den Graphiker, ein Plakat zu entwerfen: Dramatisch hatte sich die Anzahl der Blutreiter verringert und 1970 mit 1 741 Reitern den niedrigsten Stand seit Kriegsende erreicht.
Allein, gut’ Ding’ will Weile haben: „Der Blutfreitag braucht kein Plakat“, ließ das Kloster zunächst knapp und unmissverständlich vernehmen. „Da war die Sach’ für mi’ erledigt“ erinnert sich Seiter. Geraume Zeit später trat dann Otto Jägle auf den Plan, der ehemalige Rittmeister der Stadtgarde zu Pferd Weingarten, selber Maler und ein guter Bekannter Seiters. Von ihm stammt übrigens das reizende Blutreiterbild unserer Blutfreitagsgeschichten. „Habet Se des Plakat no’? wollte er wissen „i’ sorg’ dafür, dass es akzeptiert wird!“
Aber zunächst einmal entspann sich ein reger, nicht enden wollender Disput über die auf dem Blutfreitagsplakat dargestellten Pferde. Zunächst wurde allgemein über Erscheinungsbild, Haltung, Stellung der Oh­ren und vieles mehr debattiert, eher eine Lehrstunde über Pferde, denn künstlerische Auseinandersetzung.

Leonhardiritt

Von dort ereilte eines Tages Seiter die Anfrage nach einem Plakat: 500 Jahre Leonhardiritt sollten ihrer Bedeutung gemäß überregional gefeiert werden. Dem Pfarrer der Gemeinde lag das Blutfreitagsplakat vor und von Anfang an hatte er sich darüber begeistert. Niemand anders als Seiter sollte das Plakat „500 Jahre Leonhardiritt in Inchenhofen“, dem uralten und weitberühmten Wallfahrtsort, entwerfen. Seiter nahm den Auftrag an und am Jubiläumsfesttag sollte dem Ehepaar Seiter eine seltene Ehre zuteil werden.
In einer Kutsche fuhren sie im Jubiläumsumritt an der Seite des bayerischen Kultusministers.
Gefragt nach derlei Ehrenbezeigung hierzulande meint Seiter augenzwinkernd: „Da lauft’s eher nach dem Motto – umsonst und draußen – !“ Bis heute verbindet die Seiters eine persönliche Freundschaft mit dem Ehrenbürger und Pfarrer der Gemeinde Inchenhofen.

 Eintausend

C. D. Asam: Deckengemälde Umrisszeichnung
W. P. Seiter zur Weitergestaltung
für den Malwettbewerb der Schüler

Mit der Einbeziehung der Kinder und Jugendlichen ins große Heilig-Blut-Jubiläum hatte sich die Blutfreitagsgemeinschaft eine wichtige Aufgabe gestellt und mit einem Preisausschreiben und Malwettbewerb sollten die Kinder und Jugendlichen erreicht werden. So entstand ein Leitfaden mit dem Titel: Auf den Spuren der Heilig-Blut-Reliquie in der Basilika Weingar­ten. Motivierend und informierend sollte dieses Arbeitsheft sein: „Herr Seiter, mir hättet da ein Anliegen …!“ und Seiter war sofort bereit, die gestalterischen Elemente des Heftes zu entwerfen. An zehn Stationen in der Basilika sollten sich die Kinder und Jugendlichen mit Kopf, Herz und Hand grundlegendes Wissen rund um die Heilig-Blut-Reliquie erwerben.

So entstanden von der Hand Seiters das Titelblatt mit Elementen seines Jubiläumsplakates und verschiedene Umrisszeichnungen: Die Fassade der Basilika, der Kopf an der Leiste des Mittelportals, Fratze und Türgriff der Türe des Vorraumes, Gloriloch, Kanzel und Deckengemälde von der Verehrung des Heiligen Blutes. Seiter gelang es, die Kinder und Jugendlichen zu motivieren, nach Herzenslust Wörter einzusetzen, mit Pfeilen zu verbinden und zu malen.

Der Erfolg war überwältigend und setzt Maßstäbe bis heute. Tausend Kinder versuchten sich am Preisrätsel und über 100 beteiligten sich am anspruchsvollen Malwettbewerb.
Die Preisträger dieses Schülerwettbewerbs zum Heilig-Blut-Jubiläum wurden im Audienzsaal der Pädagogischen Hochschule ausgezeichnet.

 

 Blutfreitag

Wenn an Christi Himmelfahrt und Blutfreitag die Menschen zu Tausenden zum Hl. Blut strömen, können sie Herrn Seiter antreffen, wie er umsichtig ordnend den vielen weiterhilft, immer bereit, Fragen zu beantworten, mit offenem Ohr für ihre Anliegen.
Darüber sind in den Jahrzehnten auch gute Bekanntschaften erwachsen wie mit einem bodenständigen Bregenzerwälder Wallfahrer, der mit seinem guten Mut und treuen Glauben Seiter tief beeindruckte. Er hat ihn vor Augen, wie er sich zunächst mit einem, dann Jahre später mit zwei Gehstöcken den Weg durch die Menge bahnte. An jenem Blutfreitag, an dem sich der alte Pilger mit Krücken nur mühsam fortbewegte, führte er ihn zu einem Sitzplatz. Das war die letzte Begegnung mit dem Wallfahrer. Er bleibt für immer unvergessen.

 

„Ma’ erlebt allerhand“, zum Beispiel die Auseinandersetzung mit einem Mann, der sich weigerte, seinen Schäferhund vom Mittelportal wegzurufen. Pilger fühlten sich bedroht, die Situation musste bereinigt werden. Auf Seiters klare Anweisung, den Hund zu entfernen, folgte prompt die Antwort „halt dei’ Gosch!’“. Dieser Zwischenfall konnte nur mit Hilfe der Polizei zu einem guten Ende gebracht werden. Und bei allem geht es ihm einzig und allein um „die Wahrung der Würde des Raumes und der Liturgie“
Die blutfreitäglichen Begegnungen und Erlebnisse prägen das künstlerische Schaffen Seiters, besonders beeindruckend wird dies in seinen Kulissenbildern erfahrbar.
Die Szenen werden mit verschiedenen Materialien gestaltet, unzählige Details mit dem Skalpell minutiös eingearbeitet, komponiert, und alles muss stimmig sein, Typen, Farben und Schärpen, Schabracken und Uniformen, Standarten und Musikinstrumente. Hautnah Erlebtes wird im Bild lebendig, nimmt den Betrachter gefangen und regt ihn zum Nachdenken über den eigenen Standpunkt zum Blutfreitagsgeschehen an – stets gewürzt mit einer Brise Witz und Humor.
Wenn Seiter solch ein Blutfreitagsbild gestaltet, vergleicht er sein Tun mit einer innigen Meditation: „Da kann i’ mi’ so intensiv ’rein denken, dass mir manchmal d’ Luft wegbleibt“ – wie in jenem Augenblick, da er beim Dienst am Altar die Heilig-Blut-Reliquie in Händen halten durfte.

 

Seiter hat seine Blutfreitagsgeschichte erzählt, begeistert, nachdenklich, still und stets beeindruckend. Der Blutfreitag lebt in ihm. Davon künden am Blutritt vier nach seinen Entwürfen gestaltete Standarten.

 

Herzlichen Dank Wolfgang Philipp Seiter.
Mnogaia leta = Auf viele Jahre

 

M. Roth

 

Kulissenbilder zum Brauchtum in Oberschwaben. Papierfiguren, Gouache auf Pappe, Messerschnitt und Goldpapier Das Stadtmuseum im "Schlössle" zeigt in einer Dauerausstellung den ganzen Blutritt