Bruder Pius Bucher OSB

 

Der Pferdenarr

Als Georg Josef Bucher ist er in Oberdorf bei Langenargen am Bodensee auf die Welt gekommen. Die Eltern waren Obst- und Hopfenbauern und Vater Georg hatte eine besondere Vorliebe für seine Pferde.

Acht Fohlen waren „auf d’r Weid“, erzählt Bruder Pius und an zwei ganz brave Pferde „an dreijährige und an sechsjährige“ erinnert er sich oft und gern. Wie er sie vor den Schlitten spannte, um mit seiner Schwester, „dia isch später in d’r Herz-Jesu-Orden eingetreten“, durch das verschneite Bodenseeland zu gleiten ...

Wenn es auf den Blutfreitag zuging, nahm sich der Vater trotz der Haufen Arbeit die Zeit, auszureiten, um sich auf den Blutritt vorzubereiten. Es galt, eine gute Figur zu machen, war er doch Gruppenführer der Blutreitergruppe Oberdorf (ab 1972 Kehlen-Oberdorf). Und der kleine Georg durfte ihn auf eigenem Pferd begleiten. „Des waret schöne Stund“, auch wenn es der Vater nicht lassen konnte, seinen Buben in einem fort mit „g’rad aus gucke’, aufrecht sitze’, it noch links und rechts gucke’“, auf die spätere Karriere als Blutreiter vorzubereiten.

Ein alter Schimmel war Georg besonders an’s Herz gewachsen. „Komm Georg, mir spannet’s Leiterwägele a“, meinte die Großtante des öfteren und in gemächlicher Fahrt holperten sie über den steinigen Weg in den nahen Wald, 

Wenn Sie Glück hatten, konnten Sie ihm in Weingarten begegnen. Dann nämlich ratterte er auf einem kleinen Traktor, „des ischt mein Agria“, mit sachgerecht beladenem Anhänger frohen Mutes in Richtung Kreuzberg-Friedhof. Dort betreute er die Gräber seiner verstorbenen Mitbrüder.

Seit 44 Jahren Mönch auf dem Martinsberg war Bruder Pius Bucher OSB also (neben vielem anderem auch) verantwortlich für den Weingartener Klosterfriedhof und vor allen Dingen ein leidenschaftlicher Blutreiter.

wo das Farnkraut wuchs. Auf das schwor nämlich die Tante, wenn sie „s’Rheumatisch“ wieder gar zu schlimm zwickte.

Mit blitzenden Augen erzählt Bruder Pius seine Kindheitserinnerungen rund ums Pferd. Die Liebe zu den Pferden wurde ihm in die Wiege gelegt. Ohne Zweifel, Bruder Pius Bucher ist ein Pferdenarr.

 

Gefährlicher Zwischenfall

Laut Anweisung vom 15. Mai 1939 durfte der Blutritt nicht auf dem gewohnten Weg stattfinden, sondern musste über Köpfingen – Briach – Knechtenhaus nach Trauben und durch die Baienfurter- und Bahnhofstraße zum Kirchplatz umgeleitet werden. Natürlich war diese braune Schikane ein heißes Thema landauf, landab und zwischen Gruppenführer Bucher und einem örtlichen Nazi kam es darüber zu einer heftigen und lautstarken Auseinandersetzung. 

„Mach nur so weiter, aus dir machen wir auch noch Schwarzwurst!“ bellte der Nazi. Und Bucher zischte mit hochrotem Kopf: „Denn gibt’s aus dir e’ braune!“

Diese schlagfertige Entgegnung hatte ein gefährliches Nachspiel. Es gab Vorladungen und Befragungen und man kann „von Glück sagen, dass d’r Vater it nach Dachau kommen ist“.

Der Blutfreitag

Abfahrt für die Oberdorfer war an Christi Himmelfahrt nach dem Mittagessen. „D’r Viktoria-Wagen“ war bereits bepackt, Sättel, Decken, Standarten, Gehröcke und Zylinder, diverses Reitzeug, Heu und Proviant sicher verstaut und nach einer Stunde wurde in Langentrog der erste Halt eingelegt. Die Pferde mussten getränkt und gefüttert werden. Gegen 17.00 Uhr erreichte man dann glücklich das Quartier in der Knollenmühle. Unterwegs ging’s unterhältlich zu, strömten doch von allen Seiten die Berner-Wägele zusammen und viele alte Bekannte konnten begrüßt werden.

In der Nacht hielt Georg Pferdewacht im Heu über dem Stall und es war eine kurze Nacht, galt es doch, das Pferd des Vaters für den Blutritt herzurichten.

Es wurde rundherum „g’schtrieglet und bürschtet“, Sattel und Geschirr auf Hochglanz gebracht, die Hufe angestrichen und bei alledem durfte das Tränken und Füttern im richtigen Maß nicht vergessen werden.  

Und kaum war die Gruppe zum Aufstellungsort abgeritten, hieß es, den Stall wieder zu säubern und aufzuräumen. Man wollte es dem Quartiergeber ja recht machen, schon im Hinblick auf den kommenden Blutfreitag. Und erst wenn auch noch Futter und Wasser für die rückkehrenden Pferde bereitgestellt waren, konnten die fleißigen Helfer endlich dem Blutritt beiwohnen. „Dafür hat’s immer Wurscht und Wecken geben“, weiß Bruder Pius noch heute zu berichten.

Gegen 15.00 Uhr ging es dann mit Sack und Pack Richtung Heimat nach Oberdorf.

Das Heilige Jahr

1950 war ein heiliges Jahr. Für die Weltkirche versteht sich, aber vor allem für Georg Bucher ganz persönlich. Zum ersten Mal war er ein Blutreiter mit Gehrock und Zylinder, „der isch’ mir auf de Ohre’ aufg’stande“. Stolz und gesammelt ritt er die Kirchstraße hinab. Aufgeregt war er „wege’ de viele Leut’ natürlich, it wege’m Reite’!“, aber nicht um alles in der Welt ließ er sich das anmerken. Langsam näherten sich die Reiter dem Rathaus-Balkon, auf dem huldvoll der neue Bischof Carl-Josef Leiprecht stand, der Nachfolger von Bischof Johannes Baptista Sproll.Schon grüßte der Gruppenführer durch Abnehmen des Zylinders und nun war der junge Blutreiter vor dem Balkon. Jetzt wollte er den neuen Bischof aus nächster Nähe bewundern, einen Blick von ihm erhaschen. Diesen Augenblick hatte er sich ersehnt. „G’radaus gucke’, aufrecht sitze’, it nach links und rechts gucka ...“. Da waren sie wieder, die Worte des Vaters, übermächtig war die Erinnerung an die Proberitte in Kindheitstagen! Geradezu vorbildlich, in strammer Haltung, stur den Kopf geradeaus ritt Georg Bucher am Balkon vorbei. Nur von seinem Bischof Carl-Joseph hat er im heiligen Jahr rein gar nichts gesehen.

 

Mönch in Weingarten

1953 trat Georg Bucher, einziger Sohn des gleichnamigen Hopfenbauern und Gruppenführers von Oberndorf ins Kloster Weingarten ein.

„Wer übernimmt d’r Hof, wia soll d’r Name auf’m Hof bleibe’“, hatte ihn der Vater bang gefragt, doch sein Entschluss war endgültig. Ein Herzensanliegen wollte sich der Vater aber doch erfüllen und versprochen hatte es ihm der Abt: „Wenn ihr Bub die erste Profess hat, darf er wieder mitreiten am Blutfreitag“.  

Wort gehalten hat der hohe Herr. Am Blutfreitag 1957 ritt Georg Bucher nunmehr als Bruder Pius stolz durch Weingarten und „um d’r Esch“. Welch „ein Hochgefühl“ nach dreijähriger blutreiterlicher Abstinenz. Doch kurz war die Euphorie. Noch im selben Jahr wurde er zum Küchen- und Hausdienst beordert und war gerade am Blutfreitag unabkömmlich. „Des hab i’ kaum ausg’halten“. 23 Jahre war es ihm versagt, ein Blutreiter zu sein. Über diese schreckliche Zeit sagte er einmal: „Am Blutfreitag hab’ ich fast ein G’fühl g’habt wie am Karfreitag“. Oft und oft hat Bruder Pius an der Reliquie, am „Wunderquell“ gebetet. Und es sollte ihm wieder vergönnt sein, das Hl. Blut als Reiter zu verehren.

 

Die Fügung

An Christi Himmelfahrt kam es zu einer unvorhersehbaren glücklichen Begegnung. „Kerzen hab’ i’ an d’r Pforte g’holt“. Bei dieser Gelegenheit traf Bruder Pius auf einen Bauern, der mit dem Anliegen ins Kloster geeilt war, ob denn nicht ein Mönch bereit wäre, bei seiner Gruppe mitzureiten. Blitzgeschwind erkannte Bruder Pius seine Chance, die er zielstrebig und mit ganzer Kraft beim Schopfe packte: Nein, nicht der Bauersmann, er selbst würde dieses Anliegen seinem Oberen, Abt Dr. Adalbert Metzinger, vortragen und dann Bescheid geben. Nähere Einzelheiten über dieses Gespräch zwischen Bruder und Abt sind nicht bekannt. Wie dem auch sei, nach der Lichterprozession war Bruder Pius wieder ein Blutreiter im Mönchsgewand und Chorrock. 

Jahr für Jahr reitet er nun mit und seit 1991 bei unserer Blutreitergruppe Weingarten, wo er ganz ohne Zweifel auch hingehört. Dank denjenigen, die das ermöglichen.

 

Wer isch jetzt au des ...?

Als 1994 die von Herrn Karl Jautz sen., Plochingen, den Blutreitern gestiftete Glocke „Gloriosa“ am Tag ihrer Weihe in feierlich-frohem Zug durch die Stadt zur Basilika gebracht wurde, war ein eleganter Reiter in feinem Gehrock mit Zylinder und Schärpe auch mit von der Partie. Weder Abt noch Prior ist er besonders aufgefallen. 

Nur manche Zuschauer ließen freudig und laut vernehmen „Wer isch jetzt au des – ha, des isch doch d’r Bruder Pius!“ Die Zugordnung schrieb nämlich vor, dass nur unser verehrter Geistlicher Beirat Pater Dr. Markus Talgner im Chorrock einen Ehrenplatz unter den Reitern bekommen sollte. Und so kam es, dass an diesem einzigartigen Festtag Bruder Pius in der allgemein vorgeschriebenen Kleiderordnung zu bewundern war.

Mit großer Freude hat Bruder Pius mir aus seinem Leben rund um den Blutfreitag erzählt. 

Bruder Pius starb 2002.


M. Roth